Im Wald wurde ein Weihnachtsbaum geboren

 

 

 Weit oben in den Bergen, im schwer zugänglichen Wald, über den Wipfeln Jahrhunderte alter Kiefern und Tannen, wo die Seilbahn endet, wuchs ein kleines, puscheliges Weihnachtsbäumchen heran.

 

Es war ein nachdenkliches, träumerisches Bäumchen. Es freute sich über die Sonne, den Himmel, die Wolken, den Wind und beobachtete  die stolzen Falken, wie sie atemberaubend auf ihre Beute jäh niederstießen.

 

            Die kleine Tanne lächelte alle freundlich an, wofür die anderen Bäume  wenig Zeit hatten, weil sie bei jedem Windhauch gern miteinander über alles und jeden in ihrem Umkreis plauderten.

 

Wen die Sonnenstrahlen wohl am meisten liebkosten, wer häufig mit dem Bergwind flüstert, wer die schönsten Zweige hat,  bei wem die Nadeln die Regentropfen wie bei einer kunstvollen Maniküre länger halten oder wer gern über das eintönige Leben nörgelt.

 

            Viele junge Tannen schauten voller Neid auf die hohen Tannen, die in der Ferne vor dem Hintergrund der verschneiten Berggipfel standen, beschützt von schlanken Riesenkiefern. Sie träumten davon, dass einmal auch neben ihnen solche märchenhaften Beschützer wachsen würden.

 

            Eines Tages bekam der Förster Besuch von Fremden. Ein neugieriger Wind hatte ihr Gespräch über die baldige Abreise der Tannen in eine ferne, große Stadt belauscht. Dort sollte sie etwas Ungewöhnliches erwarten.

 

            Eine ungeheure Erregung erhob sich. Alle jammerten und klagten. Die Bäumchen waren noch ganz jung und hatten noch keine Vorstellung, was ein Feiertag ist, und überhaupt eine Stadt. Viele hatten  jedoch schon etwas aus den Erzählungen der Tannen gehört, die dem Haus des Försters am nächsten wuchsen. Diese Tannen wussten mehr über das andere, geheimnisvolle Leben und kannten sich in der Musik und der Mode aus, weil es ihnen manchmal gelang, in ein Fenster zu schauen und sogar fernzusehen.

 

            Die anderen Tannen jedoch hörten nur den Gesang der Vögel und das Läuten der Glocken von der naheliegenden Kirche und manchmal Melodien aus den geöffneten Fenstern des Forsthauses.

 

            Die engsten Freundinnen unserer kleinen Tanne waren Gordjatschka – die Stolze, Wertuschka – die Lustige und Skripuscha – die Unzufriedene.

 

            Die Stolze war die Tanne, die dem Forsthaus am nächsten stand. Wie keine andere kannte sie sich in der Mode aus, war über das Stadtleben im Bilde und erzählte ihren Freundinnen häufig von ihren Eindrücken aus dem Fernsehprogramm. Stolz unterstrich sie, wie gut sie Bescheid wusste.

 

            Die Lustige aber vergötterte die Musik. Sie war immer bereit, sich zu drehen, beim Glockengeläut und bei jeder Musik, die aus dem Hause des Försters erklang. Und gerade mit ihr drehte der Wind am häufigsten seine Runden und hielt sie in seinem Arm. Seine Komplimente riefen Begeisterung und selige Schwindelgefühle hervor.

 

Sie träumte davon, mit den dahin gleitenden Falken zu tanzen. Diese wählten sich jedoch als Partner nur die leichtsinnigen Wölkchen oder die hochmütigen dunklen Wolken aus.

 

            Die Unzufriedene unterschied sich von allen dadurch, dass ständig alles ihren Widerspruch, ihre Empörung und ihren Tadel hervorrief.

 

            Bei sonnigem Wetter wurde es ihr auf dem Kopf zu heiß und bei Regenwetter floss es ihr zu sehr den Rücken runter. Käferchen aller Art suchten unter ihren Zweigen Zuflucht.

 

Der Wind hielt sich wenig bei ihr auf, kein Vögelchen schenkte ihr sein Lied und auch das Licht drang selten in ihre düstere Krone.

 

            Und dann kam der Tag, an dem alle Tannen, eingehüllt in Netze wie in einen Schleier, auf die ferne Reise geschickt wurden.

 

            Die Tannen waren von dem Weg und von der großen Stadt so beeindruckt, dass sie nicht einmal merkten, wie man sie zu verschiedenen Orten fuhr und dass sie von ihren Freundinnen                                                                                                                                                                          getrennt wurden.

 

            Die Stolze wurde – modisch geschmückt - in dem riesigen Schaufenster eines Kaufhauses ausgestellt. Sie träumte von Perlen, Kerzen und Kugeln, aber ihr Schmuck bestand  nur aus den goldenen Blättchen der Preisschilder, hinter denen sie sich verschämt versteckte

 

            Die Lustige  wurde zusammen mit anderen Tannen, die auch gerne tanzten, inmitten eines festlichen Karussells aufgestellt. Fest umwickelt mit Lichtergirlanden, behangen mit riesigen, selbstverliebten Kugeln, die die Zweige nach unten zogen und ihnen dadurch Freiheit und Leichtigkeit nahmen. Zu Anfang war das heitere Publikum interessant anzusehen  und man konnte sich zusammen mit dem Karussell zu Musik und Kinderlachen drehen.

 

            Die missmutig rauschende Unzufriedene wurde sehr rasch verkauft. Man steckte sie in ein großes teures Auto und fuhr mit ihr in einen Außenbezirk der Stadt. Sie wurde mit teurem, kitschigem Baumbehang geschmückt. Von Geschenken in schönen Verpackungen eingerahmt, ließ man sie allein im Wohnzimmer stehen.

 

            Ein ungewöhnlicher und anstrengender Tag ging zu Ende. Es wurde Abend. Die Schaufenster erleuchteten, die Laternen erhellten die Straßen.

 

Langsam verließ die Hektik die Stadt. Am Heiligabend strebte jeder nach Hause, zur Familie und zu seinen Angehörigen, zum festlichen Tisch und zum geschmückten Weihnachtsbaum. Ein Geschenk zu bekommen, ist natürlich eine Freude, aber doppelt so schön ist es, die Freude der anderen zu sehen, die deine Geschenke empfangen.

 

            Auch der Tannenbaumverkauf wurde langsam geschlossen. Die letzten, verspäteten Käufer trugen  ihre teuren Waldschönheiten fort. Aber wie viele traurige Tannen waren noch in ihren Schleiern stehen geblieben!

 

             Der Verkäufer schaute immer häufiger auf das Zifferblatt der Rathausuhr. Mit jeder Bewegung der Zeiger dachte er immer weniger an den Erlös und an die unverkauften Tannen.

 

            In Gedanken schon bei der ihn zu Hause erwartenden Weihnachtsgans, griff er schon nach dem Autoschlüssel, als plötzlich die Scheinwerfer eines abfahrenden Autos das traurige Gesicht einer vorbei gehenden Frau beleuchteten. Der Verkäufer griff spontan nach einem Weihnachtsbaum, unserem Weihnachtsbäumchen, und reichte es mit einem Lächeln der Frau. Zuerst machte die Frau verständnislos einen Schritt zurück, dann aber erstrahlte ihr Gesicht vor Freude und sie bedankte sich herzlich bei dem Verkäufer und bei dem Schicksal, für ein so unerwartetes und wundervolles Weihnachtsgeschenk.

 

            Den ganzen Weg nach Hause merkte das Weihnachtsbäumchen, wie die Frau es ab und zu an sich drückte, die Spitzen der kuscheligen Zweige streichelte und den erregenden winterlichen Duft des Nadelholzes tief einatmete.

 

            Zu Hause roch es im Zimmer nach Arzneimitteln. Und dann sah das Tannenbäumchen einen begeisterten Blick, der aus dem Bettchen auf sich gerichtet war.

 

Der freudige Ausruf „Mama! Ein richtiger Weihnachtsbaum!“ zerschnitt gleichsam alle Fäden des Netzes, das die Freiheit des Bäumchens einengte. Es reckte sich und streckte seine

 

eingeschlafenen Zweige aus. Der Duft des winterlichen Tannenwaldes und der Berge füllte das Zimmer und verdrängte den Geruch der Medikamente. Der Weihnachtsbaum schaute sich um.

 

 Durch das Fenster sah man einen Balkon und die Dächer der Nachbarhäuser. In der Ferne lief das blinkende Band der Lichter auf der Autobahn. Die Fahrzeuge stoben nach verschiedenen Richtungen,  alles strebte zu einem festlichen Tisch.

 

            Die Frau stellte den Baum in einen Eimer mit Wasser, ganz nahe ans Bett, damit das Kind die kuscheligen Zweige berühren und streicheln konnte. Es gab keine Kristallkugeln und keine Kerzen, aber die Mutter hängte einige ihrer Ohrringe und ein paar bunte Perlenschnüre auf. Der Kleine setzte ein lustiges Plüschhäschen auf einen Zweig.

 

Die Baumspitze schmückte die Hausfrau mit ihrem schönsten Seidenschal und band daraus eine Schleife.

 

            Nun war es Heiligabend.  In der Frostluft, in der man die Erwartung des märchenhaften Feiertags spürte, hörte man den silbernen Klang der Glocken von allen Kirchen der Stadt.

 

            Der glückliche kleine Junge lächelte schon längst in seinen wunderschönen Träumen.

 

Der Schokoladenschneemann stand auf dem Tisch und bewachte das liegende Thermometer.

 

            Die Hausfrau schaute verzaubert auf die Flamme der Kerze, als ob sie versuchte, darin die kommenden Ereignisse zu erblicken: der Junge würde gesund werden… sein Vater würde  zurückkommen …das Glück würde ihr begegnen …

 

            „Dein  heiliger Wille geschehe!“, sprach die Frau.

 

            Das Weihnachtsbäumchen hörte das geflüsterte Gebet. Es war glücklich und froh, weil es diesen Beiden, die ihm von jetzt an nahestanden, seine Liebe schenken konnte.

 

Es winkte leise mit der Schleife und die Frau erwiderte es mit einem Lächeln.

 

            Wie konnte das Weihnachtsbäumchen wissen, dass die Unzufriedene schon am nächsten Weihnachtsmorgen an den Straßenrand geworfen wird, weil sie ausgedient hat.

 

Die immer nörglige, stachlige und neidische Unzufriedene lag neben einem gleichgültigen Laternenmast. Tränen der Kränkung vermischten sich mit den Spritzern von Schneematsch, die von den  hin und her fahrenden Autos hochflogen.

 

            Und die Lustige, die in dem Weihnachtsmarktrummel den Kopf vollständig verloren hatte und darum müde und eingesunken war, wird zusammen mit den anderen Tannen aus dem Karussell genommen und zu Spänen verarbeitet.

 

            Die Stolze hat etwas mehr Glück. Nachdem sie im Schaufenster hochmütig gestrahlt hatte, wird sie nach dem Weihnachtsfest von den schon bereitstehenden Osterhasen und Osterkücken abgelöst werden.

 

            Ein Weihnachtsmärchen sollte nicht traurig enden. Das Weihnachtsbäumchen wird aus dem Eimer in einen schönen Topf umziehen und nach wie vor seinen neuen Freunden Freude bereiten. Der Tannenduft aus den Bergen wird die Krankheit aus dem Jungen vertreiben und seiner Mutter Beruhigung in dem Wirbel der Ereignisse bringen.

 

Und da, wo Ruhe ist, ist auch Freude und der Glaube an eine helle Zukunft.